Lothar Köster, 23. Oktober 2020

Irgendwie einsatzunwürdig...

... der bloße Bürger, der da über den Asphalt rollt.

Zwei ausgewachsene Novizen, ein schicker eRoller unter Maximalstrom, die THF-Rollbahn klar und menschenleer, das hätte jetzt mal einen 100%-Vollzug geben müssen. Aber ich habe ein räumliches Gehör und daher die Wirbelsäule noch etwas wegdrehen können. Mit verlegenem Grinsen über den verpatzten Job rollten sie gemächlich zum Ausgang Herrfurthstraße. Höhere Schulden, höhere Spannung... Ich kratze meine dritte Kerbe.

Als ich den Notruf anwählte und um Hilfe bat, gehörte mir ein paar Sekunden die Aufmerksamkeit des Beamten. Aber ihm war schnell klar, daß ich kein Investor war, der im Hinterhof seines Mietshauskomplexes von Besetzung hat raunen hören. Ich war auch kein Autokonzern-Kunde, der einen Kratzer zu melden hatte. Kein Kaufhaus, bei dem ein Obdachloser Brot stahl. Ich konnte nicht einmal einen arabisch lärmenden Nachbarn (Großfamilie? Clan?) bieten.

Ich war bloß ein Bürger, der mit Geschick einen Überfall überlebt hatte.

Der Beamte war hörbar zurückgesunken und machte aus seinem Desinteresse keinen Hehl. Amüsiert fragte er, ob ich die Täter nach den Personalien gefragt hätte.

Meine Bitte, auf dem alternativlosen Fluchtweg nach den Tätern zu fahnden, ließ er professionell an sich abgleiten. Müde bot er an, einen Streifenwagen vorbei zu schicken. Als ich eine gefühlte halbe Stunde später, frierend und mit blutigen Schürfwunden, erneut anrief, hatte der Kollege irgend etwas von mir im System, aber die Kollegen auf der Wache, na ja, wann die losfahren wollten, das wüßte er natürlich nicht.

Zu dem von mir gestellten Strafantrag ist bis heute nicht einmal eine Eingangsbestätigung eingegangen. Er reift wohl in der Bürgertonne. Fahndung und technische Recherchen haben sich so glücklicherweise erledigt.

Was jammert der Bürger, der Einzelfall! Die Polizei hat Schwerpunkte. Eben!

Natürlich möchten die meisten Bürger gerne an die Freunde und Helfer glauben. Sie sehnen sich nach Institutionen, die ihnen im Notfall schnell und professionell helfen, die Recht und Gesetz für jeden gleich durchsetzen, und dafür zahlen sie vertrauensvoll ihre Steuern.

Was aber bliebe von diesem Vertrauen, wenn wir die Masse der Einzelfälle erheben und untersuchen würden? Wenn wir das Engagement und die Freundlichkeit der Polizei über diese Fälle bewerten, aufgeteilt nach Macht und Besitzstand der Betroffenen? Das ist die eigentliche Dunkelziffer: Wann hatte die Polizei einfach keine Lust? Wer und was erschien ihr einsatzunwürdig? Hier hilft nur Bürgerachtsamkeit und Datensammlung, denn die Akten der Polizei sind geheim, wie fast alles an diesem Dienst.

Nicht einmal mehr vis-a-vis mag Vertrauen aufkommen. Wenn der brave Bürger im Kaufhaus nach Kapern sucht und zwei schwarzen Panzerwesten gegenübersteht, behangen mit Nahkampfknüppeln und Kampfgas, mit geladenen Pistolen an der Hüfte, schleicht er davon, ohne zu husten oder das Gläschen Kapern fallen zu lassen. Polizisten schießen grundsätzlich in Notwehr. Und durch ihre ramboide Inszenierung bringen sie deutlich zum Ausdruck, daß sie sich auch grundsätzlich vom Bürger bedroht fühlen. Wer möchte sie so zum Freund, zum Helfer haben?

Berliner Polizisten fahren jährlich Millionen Einsätze, anstrengende, oft schmutzige Arbeit. Aber das gilt genauso für Straßenfeger, Pfleger, Lehrer. Das liefert keine Entschuldigung für Bürgerverachtung hier, und dort heißblütiges Engagement für alle Mabuse-Strukturen dieser Stadt.

Wir brauchen eine Polizei, aber sie entgleitet uns. Warum?

Einerseits aufgrund eines fatalen Mißverständnisses. Die Polizei soll Straftaten und deren Täter verfolgen. Dazu ist sie gut ausgerüstet. (Zur Motivation siehe oben) Sie kann grundsätzlich keine Straftaten verhindern. Das geht nämlich nur um den Preis der Überwachung. Nur wenn man überall und immer überwacht, was die einzelnen Bürger denkt und tun, kann man vor oder während der Straftat eingreifen. Eine solche Prävention ist erst verläßlich, wenn diese Überwachung lückenlos, also total ist. Dann haben wir aber keine Polizei, sondern eine GeStaSi, denn ein solcher staatlicher Sicherheitsdienst muß zugleich total geheim arbeiten.

Jeder, der noch einen Funken Verstand hat, weiß, daß dies ein uneinlösbares Versprechen ist. Aber unsere Polizeistrukturen gleiten immer tiefer in diesen Trichter von Geheimhaltung, Paranoia, Massenüberwachung und Generalverdacht. Sie stellen alle unsere Freiheitsrechte in Frage, sie behandeln jeden Bürger als unerkannten Straftäter. Bezeichnendes Beispiel : Sie gehen mit laufender Kamera in die Einsätze, die aber der Bürger nicht als Beweismittel sehen und nutzen kann.

Andererseits, nur kurz: Wenn alle staatlichen Strukturen den Raubkapitalismus gegen die Bürger fördern, die letzten sozialen Dienste zu Profitpressen privatisieren, den sozialen Wohnungsbau vernichten, um die Mietzinserpressung zu optimieren ... dann kann die Polizei als staatliches Instrument die Bürger eben auch nur als Melkvieh und Störenfriede behandeln.

Hatten wir Nachgeborenen des Faschismus diese Anfeindungen der offenen Gesellschaft nicht um jeden Preis verhindern wollen? Im Prinzip ja, aber dann haben wir es doch jahrzehntelang zugelassen, weil wir dem süßlichen Versprechen von Sicherheit auf dem Leim gegangen sind. Eine Nebenwirkung der alten, bösen Tradition Untertänigkeit.

Freiheiten kann man nicht im Internet bestellen, man muß sie aktiv durchsetzen. Wo das Geheimnis waltet, wächst das Verbrechen, also müssen wir Bürger die geheimen Strukturen aktiv beobachten und zur Offenlegung zwingen.

Ich habe einen Überfall, wenn auch knapp, überlebt. Ich erhebe Klage gegen die Berliner Polizei, die mich für schutzunwürdig erklärt hat, ein lächerlicher Versuch. Wenn ich aber der 5273ste Bürger wäre, der das Fehlverhalten sachlich der Öffentlichkeit beschreibt, und wenn man dies, modern gemapt, im Internet lesen könnte, dann würde man dort durchaus Freiheiten gefördert sehen. Technik, die den Bürger begeistert.

Und würden die Polizisten wie einst als freundliche KOBs in schicker Uniform durch unsere Wohnviertel schlendern, könnten sie sehr schnell von uns erfahren, welche gestörten Seelen einer Stabilisierung bedürfen. Überwachungsmanie und Polizeigewalt beschädigen tausende Bürger und züchten dutzende Täter heran. Bürgerfreundlichkeit und Nachbarschaftshilfe stabilisieren tagtäglich unser Sozialgefüge und damit unsere recht hohe Sicherheit. Die Polizei als professionell helfender Freund oder als GeStaSi-Truppe - die Entscheidung trifft ausschließlich der Bürger. Je tiefer wir aber in den Trichter rutschen, um so schwieriger kommen wir wieder hinaus.

ps:
Gruß an meine Psycho-Borgs!
Beim vierten Versuch wird es wohl gelingen.
Mit Sicherheit. Mit Freunden und Helfern!

Nachtrag Dezember 2020:

Wirklich lächerlich, mein Versuch mit dem Strafantrag. Der Amtsschimmel hat ganze Baumgruppen zermahlen, um sein Desinteresse formal auszuschwitzen.

Ein gewisser Scheidler (i.A. PolHauKom) holt zu einer geschwurbelten Beschwichtigung aus, durchweg Hausmannskost. Hübsch ist:
"Einsatzwagen innerhalb der üblichen 30 Minuten" (Deutsche Bahn?),
"Einsatzstornierung" (Rückgaberecht?),
"Einsatzwagen mit Sondersignal nicht erfolgversprechend und somit rechtlich nicht zulässig" (kalter Bürger ist keine heiße Fritte)

Ich erwäge, einen Poesieband aus solchen Quellen zusammenzustellen. ("PoLyrik")

Eine Staatsanwältin Kaselow schmettert eine Strafanzeige wg. Strafvereitelung im Amt, die ich nicht gestellt habe (als hätte man ein Recht), mit zwei brilliant geschliffenen Textbausteinen ab.

Jede neue Aktennummer ein Brief, jeder Brief eine neue Aktennummer.

_____

Da läuft eine große, Jahrhunderte alte Maschine, gut geschmiert, langsam auf uns zu. Der Bürger ist dem Getriebe kein Sand, nicht einzeln. Aber im Fokus ist er schon. Jeder einzelne. Tag und Nacht. Als Hauptverdächtiger gegen seine innere Sicherheit.

Es ist Gefahr im Vollzug.