Lothar Köster, Frühjahr 2017

Irgendwie nicht unbekannt...

... diese Polarisierung, wie der Raucherkneipen-Effekt: Es geht nur dafür oder dagegen, wer auch nur eine Sekunde über diese neuen Bauernfänger im Parteienolymp nachdenkt, wird von beiden Seiten verprügelt.

Freibierparteien gab es schon viele, warum jetzt diese Aufregung? Rep, NPD und Co. gestalteten ihr Programm aus Empörungsphrasen, Theken-Heilslehren mit Bierdeckel-Horizont. D-Mark zurück, Ausländer raus, den Kaiser, und natürlich Freibier. Das Geschäftsmodell ist lukrativ, ein Weilchen Phrasen dreschen und dann Diäten kassieren.

Die Aufregung über sie hat allerdings Hintergründe, die uns beschäftigen sollten:

Zum Einen: Sie nähren sich aus den 40% Nichtwählern, dem geistigen Prekariat ohne politische Integration, das bislang irgendwie mitgemacht und niemanden gestört hat. Mit Thekensprüchen entlockt man ihnen jetzt massenhaft Wahlkreuze und schmälert die Pfründe der Platzhirsche. Nicht DAS, sondern WIE man sie mobilisiert hat, ist zutiefst erschreckend. Sie folgen blind den berechnenden Heilsrhetorikern. Was aber passiert, wenn wirklich Probleme auftauchen, wenn Wasser, Strom und Geld nicht mehr aus der Wand kommen, wenn den magischen Potenzverstärkern der Sprit fehlt? Wie schnell wird dann eine orientierungslose, mehrheitskritische Masse dem erstbesten Führerkandidaten blind und blutig folgen? 'Wir sind das Volk' ist hier keine aufgeklärte Demokratie-Einforderung, sondern das Begleitgeräusch einer sozialen Mure, das Vorbeben einer unbezwingbaren Naturgewalt.
Diese Gefahr war nach '45 nicht gebannt, sondern ausschließlich im Tagesgeschäft verdrängt. Die Menschlichkeit, die so quälend langsam aus dem friedlichen Leben erwächst, ist in einer Hundert-Millionen-Kleptokratie so instabil wie ein Kalifornischer Kiefernwald im Spätsommer.

Die Tagesdecke der Ingenieursdemokratie ist verrutscht, und was darunter wieder sichtbar wird, könnte unsere letzte Warnung sein.

Zum Anderen: Sind nur diese Provokateure die Lügner und Blender? Der Hochstapler hat nicht nur getäuscht, er hat vor allem die Leere der Herrschaft bewiesen. Keine der etablierten Parteien wird auch nur eine einzige Wahlversprechung halten. Statt für Schulen, Kitas und Infrastruktur werden sie dieselben privatisieren und in geheimen Sitzungen und Verträgen das Land verraten. Nicht gelegentlich oder ansatzweise, sondern sozusagen hauptamtlich und professionell. Obwohl das praktisch jeder weiß, machen alle sorgfältig ihr Kreuzlein.

Ein Wahlprogramm, aus Thekensprüchen und Empörungsphrasen zusammengestoppelt, ist von den Gut-und-Schön-Versprechungen der anderen erschreckend wenig zu unterscheiden. Bei den Plattitüden ist vielleicht noch eher erkennbar, daß sie nur dem Stimmenklauben dienen. Aber z.B. die Phrasen vom bezahlbaren Wohnraum, der nur auf dem Tempelhofer Feld möglich gewesen wäre, um dann Milliarden an Mietzinsen zu pressen, sind von ganz anderem Holz. Dies ist der Theaterdonner des systematischen Landesverrats. Wie erfrischend offensichtlich wirkt dagegen das Bierdeckelgepolter der Provokateure. Sie verdienen vielleicht sogar den Ehrenpreis der Politsatire, denn sie demonstrieren uns, wie weit sich dieses politische System des unbesiegbaren Parteienfilzes von einer Interessensvertretung der Bürger entfernt hat.

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Natürlich werden diese Bauernfänger nicht 'den Parteienfilz bekämpfen', in dem sie selbst wildern, sie fordern ja zugleich 'Kapitalismus ohne Hemmnisse' usw. Und natürlich FREIBIER!

Aber ihr tumbes Toben hat uns geweckt. Es ist viel Fäule im Staate Dänemark, und der Gestank geht kaum von ihnen aus. Sie verwirbeln ihn nur.