Lothar Köster, 15. August 2021

irgendwie gespiegelt

Diese verhärmten Gesichter der Taliban: Buben, versteckt hinter Bärten, versteckt unter Turbanen, versteckt hinter diesen gesponserten Flinten, mit denen sie nervös herumfuchteln, die sie auf alles richten, was sie nicht verstehen... den Frieden der Feldarbeit, die Banden der Freundschaften, den Schutz der Familie, und, natürlich, das Lächeln der Frauen. Diese fürchten sie zutiefst, denn diese können und tun all das, was sie niemals werden tun können.

Diese Gesichter werden uns zur Abendstunde als das fremde Böse, das böse Fremde präsentiert, und wir, geduckt auf dem Sofa, sehen sie gerne fern.

Aber in diesen Gesichtern spiegelt sich etwas Anderes, befremdlich Vertrautes. Wilde junge Buben, verzweifelt um Bärte bemüht, hinter Flinten versteckt, marschieren seit 500 Jahren nach Westen, Süden, Osten. Die Herrscherhäuser der selbsternannten Ersten Welt gieren nach Raubgut. Niemand in dieser Verwertungskette interessiert sich für die Menschen und Kulturen unter den Stiefeln, am wenigsten die Buben.

Durch das Reich der Paschtunen, der Afghanen, die schon seit Jahrtausenden Heere und Herren durch die staubigen Täler ziehen sahen, zogen vor 180 Jahren die britischen Waffenbuben. Ein strategischen Wüten, ein 'great game' gegen die russischen Strategien, die mit ihren Bubenheeren den britischen Raubflächen namens Indien gefährlich näherrückten.

Wehe den kleine Völkern zwischen den großen Räubern.

Sowjet-Rußland läßt sich vor 40 Jahren von seinen Marionetten rufen. Seine Armee-Buben kämpfen gegen staubige Hütten, jahrtausende alte Bewässerungsgräben und Esel am Wegrand, mit hilflosen Materialschlachten und pathologischem Hass auf jegliche Kulturtradition. Die US-Strategen ohne Vietnam-Scham verschenken Megatonnen an Waffen an jene entwurzelten Exilanten ('nicht unsere Buben') und kreieren sehenden Auges einen totalitären Kontra-Islamismus. So kroch der Krieg langsam, aber stetig aus den Waisenhäusern durch die Berghütten und Flüchtlingslager vieler Länder letztlich bis in die Twintowers.

Wehe den kleinen Völkern. Die Räuber zertrampeln blind ihre Kultur. Wenn sie weiterziehen, bildet sich in dem Heer der Verwundeten regelmäßig eine rechtlose Spontanherrschaft: Mao, Pol Pot, IS, Taliban, der typische Kriegskommunismus in Vietnam, Nicaragua und viele mehr... Immer sind es die Verwaisten, die dem Trauma der Eltern mit einem kitschigen Wahnbild aus dem goldenen Zeitalter entkommen wollen.

Auf dieses rechtlose Toben und seine hilflosen Opfer zeigen wir mit Fingern, nicht aber auf die Designer und Verursacher dieser Strohhalm-Faschismen. Hatten sie ihre Beute gesichert, wurde die Landkarte verbrannt und abgereist. In deren Stiefelabdruck sichert das trübe Wasser der Leichenfelder. Hier wachsen lange keine Rosen mehr.

Diese Buben sind nicht freiwillig Taliban geworden. In ihren leeren Blicken spiegeln sich die Erinnerungen an die verbluteten Eltern, die verlöschende Glut ihrer Hütten, die Öde der Trümmerfelder, die einst ihre Kultur hätte werden können.

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Blutbuben beerben Blutbuben. Sie sind im Todestrichter erzogen worden und können nur noch in Wahn und Mord handeln. Und doch sehe ich hinter diesen leeren Augen mehr Reste an Würde und Menschlichkeit, als die Schreibtisch-Schützen im Ramsteiner Dronenkabinett, bei Cola und Hacksteak, je hatten und haben werden.